Künstliche Intelligenz

IT-Experte Alois Krtil: Hamburg ist ganz klar ein KI-Hotspot

29. August 2023
Neue Serie. KI ist zunehmend Teil unserer (Arbeits-)Welt. Wie gehen wir mit der Technologie richtig um? Ein Interview mit ARIC-Gründer Alois Krtil

Mit künstlicher Intelligenz (KI) lässt sich bereits erfolgreich die Arbeit der menschlichen Hand automatisieren. Doch durch die Entwicklung generativer KI, also einer Technologie, die selbstständig Texte, Bilder und einfache Codes erstellen kann, lassen sich nun auch kreative Aufgaben lösen. Das erschließt ganz neue Möglichkeiten – aber auch Risiken. Umso wichtiger ist der verantwortungsvolle Umgang mit der Zukunftstechnologie. Auftakt unserer neuen Serie rund um das Thema KI.

Heute: Die Hamburg News haben mit dem Gründer und CEO des Artificial Intelligence Center Hamburg (ARIC) über die Etablierung von Responsible AI, die vielfältigen Anwendungsfelder, Hamburgs innovative Startup-Szene sowie den Prompt-a-thon beim diesjährigen KI-Summit am 31. August gesprochen. 

Hamburg News: Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie stark wird KI die deutsche Wirtschaft – und unser Leben allgemein – beeinflussen? 

Alois Krtil: Wenn wir an einen Zeitraum von etwa fünf Jahren denken, bin ich bei einer klaren 9. Bis dahin wird KI in nahezu allen Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft eine Rolle spielen. In vielen Feldern nutzen wir ja bereits KI ganz selbstverständlich: Von Navigations- und Übersetzungsprogrammen über Sprachassistenten, wie Siri oder Alexa, bis in den Bereich Predictive Maintenance. Und gerade in Unternehmen wird es eine massive Adaption von KI-Anwendungen geben. Nicht notwendigerweise im Kerngeschäft, aber sicher indirekt: Bei der Optimierung von Prozessen, um Kosten und Ressourcen zu sparen, aber auch im Umgang mit Kund:innen und Mitarbeiter:innen, etwa im Bereich Weiterbildung oder der Akquise von Mitarbeitenden.

Hamburg News: Laut einer Bitkom-Studie von September 2022 sieht eine große Mehrheit deutscher Unternehmen KI als Chance, aber nur 9 Prozent setzt die Technologie tatsächlich ein. Da ist noch Luft nach oben, oder?

Krtil: Ich erwarte einen deutlichen Anstieg von Unternehmen, die KI nutzen. Das Tempo in der technischen Entwicklungen ist ungebremst hoch und die Zahl praktischer Anwendungsfälle nimmt rasant zu. Daraus ergibt sich ein wachsender Handlungsdruck für Unternehmen, wenn sie nicht ins Hintertreffen geraten wollen. Bei ARIC spüren wir das ganz klar an der gestiegenen Zahl von Anfragen: Immer mehr Unternehmen wollen prüfen, ob und wie sich der Einsatz von KI für sie lohnt. Dank EDIH, einem Förderprogramm der Europäischen Union, das die digitale Wettbewerbsfähigkeit vor allem von KMU und Verwaltung stärkt, können wir passende Formate anbieten. Darunter Informations- und Weiterbildungsveranstaltungen sowie Workshops, in denen wir gemeinsam mit Unternehmen Prototypen bauen oder im Bereich der Verwaltung Proof of Concept (PoC), also KI-Testszenarien, entwickeln.

Alois Krtil, Gründer und CEO des Artificial Intelligence Center Hamburg (ARIC)

Hamburg News: Bereits ausgesprochen aktiv im Umgang mit KI ist die Startup-Szene. Laut einer aktuellen Bitkom-Studie sind Datenanalyse und KI die beiden Top-Technologien in deutschen Startups. Wie sieht es bei den etwa 700 Hamburger Startups aus?

Krtil: In mehr als 120 Startups in Hamburg spielt KI eine wesentliche Rolle. Damit liegt die Stadt deutschlandweit auf Platz 3, nach Berlin und München. Nimmt man die Startups hinzu, die KI-Anwendungen in irgendeiner Weise nutzen, sind wir bei drei Viertel aller Hamburger Startups. KI ist damit die verbreitetste Schlüsseltechnologie bei Neugründungen – und Hamburg ganz klar ein KI-Hotspot.

Hamburg News: Chat GPT hat einen medialen KI-Hype ausgelöst. Ist dieses Interesse auch in der etablierten Wirtschaft und Verwaltung spürbar?

Krtil: Unbedingt. Beispielsweise hatten wir einen Online-Workshop über Chat GPT für Verwaltungsangestellte in Hamburg konzipiert, und gedacht, wenn 20 Teilnehmer:innen zusammenkommen, können wir in durchführen. Tatsächlich hatten wir in kürzester Zeit über 1.000 Anmeldungen – und haben es zunächst auf einen technischen Fehler geschoben. Doch das Interesse war real. Ähnlich war es bei einem speziellen Angebot für Schulleiter:innen und den Umgang mit Chat GPT im Unterricht: Ein Drittel aller Hamburger Schulleiter:innen hat sich registriert. Und auch aus Wirtschaft und Verbänden reißen die Anfragen nicht ab. So etwas hat es noch nicht gegeben – aber es zeigt den enormen Bedarf und das große Interesse. Entsprechend werden wir Follow-ups anbieten und natürlich wird das Thema beim KI-Summit eine Rolle spielen, sowie beim Prompt-a-thon, den ThIS! Interface Society im Rahmen des diesjährigen fAIstival.hamburg anbietet.

Hamburg News: Und was ist ein Prompt-a-thon?

Krtil: Ein Prompt-a-thon ist, angelehnt an einen Hack-a-thon, ein praktischer KI-Workshop, in dem gemeinsam ausprobiert wird, wozu generative KI, also etwa Chat GPT im Textumfeld oder Midjourney im Bereich Bilder, in der Lage ist und wo ihre Grenzen liegen. Auch hier verzeichnen wir reges Interesse, aus gutem Grund. KI ist einer der größten Wachstumstreiber, der die gesamte wirtschaftliche Wertschöpfungskette betrifft: von der Entwicklung bis zum Vertrieb und Marketing sowie den Kund:innenkontakt.

 

Anwendungsfall: Koffer-Screening im ARIC-Showroom

Hamburg News: KI bietet also fraglos zahlreiche Chancen. Gerade ARIC betont jedoch die Notwendigkeit von einem verantwortungsvollen Umgang mit der Technologie. Was tut sich in Sachen Responsible AI in Hamburg?

Krtil: Einiges. Im Juni haben die Stadt Hamburg, die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC Deutschland und die Zertifizierungsgesellschaft Dekra CertifAI gegründet und damit den allerersten TÜV für KI-Anwendungen ins Leben gerufen. Zu den Aufgaben des neuen KI-Zertifizierungsunternehmens gehört die Prüfung, Zertifizierung und die Entwicklung von technologischen Lösungen für die Automatisierung dieser Prozesse in Form von sogenannten Cyber-physischen Systemen (cyber-physical system, CPS). Dieses Joint Venture nimmt damit Forderungen der kommenden EU-KI-Verordnung voraus und ist ein wesentlicher Baustein für das Ziel Responsible AI – übrigens ein Feld, auf dem Hamburg Vorreiter ist.

Hamburg News: Gibt es dafür vielleicht ein, zwei Beispiele?

Krtil: Schon Ende 2018 haben sich Expert:innen aus unterschiedlichen Disziplinen im Hamburger Rathaus zu einer Fachtagung getroffen. Herausgekommen sind „9 Thesen zu Chancen und Risiken, demokratischer Legitimation und rechtsstaatlicher Kontrolle bei der Algorithmisierung der Verwaltung”. Diese Thesen, verfasst von Friedrich-Joachim Mehmel, ehemaliger Präsident des Hamburgischen Verfassungsgerichts und des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts und nun LawCom Institute, sowie Professor Wolfgang Schulz, Direktor des Hans-Bredow-Instituts Hamburg, haben immer noch große Gültigkeit, wenn es um die Etablierung von Richtlinien für Responsible AI geht. Ein weiteres Beispiel ist die Partnerschaft mit der Wirtschaftskanzlei Fieldfisher und weiteren Unternehmenspartnern sowie wissenschaftlichen Einrichtungen, um interdisziplinär tragfähige Konzepte für die konkrete praktische Umsetzung von Responsible AI zu entwickeln.

Hamburg News: Tatsächlich verzeichnet eine Studie der Bertelsmann-Stiftung gerade eine Verunsicherung der Bevölkerung aufgrund von Desinformationen und gefälschten Fotos, also den berüchtigten Deepfakes. Wie problematisch ist diese Entwicklung?

Krtil: Es wird tatsächlich immer schwerer Deepfakes zu erkennen. Wir haben es hier mit einem regelrechten Katz- und Mausspiel zu tun: Kaum ist eine Software entwickelt, die Deepfakes entlarvt, gibt es eine Gegensoftware, die Deepfakes noch besser erstellt – ähnlich wie im Bereich Cybersicherheit. Wir dürfen also in unseren Bemühungen nicht nachlassen, um im Rennen um die besseren Tools die Nase vorn zu haben.

Hamburg News: Abschließend ein Tipp des Experten – Wie erkenne ich Deepfakes?

Krtil: Details wie Hände sind ein guter Indikator. Bei Deepfakes sind sie oft verschwommen oder es gibt zu wenig oder auch zu viele Finger. Grundsätzlich ist eine gesunde Portion Skepsis angebracht: Je unwahrscheinlicher das Foto, desto wahrscheinlicher ist es fake. Oftmals lassen sich solche Fotos durch eine Onlinerecherche entlarven, denn viele Deepfakes werden aus Lust an der Technologie erstellt und die Macher:innen outen sich aus einem gewissen Stolz heraus. Deutlich gefährlicher wird es bei Deepfakes, die etwa ein Kriegsgeschehen betreffen. Dabei können wir nur auf technische Abwehr hoffen. Aber grundlegend ist die Aufklärung zu dem Thema sowie eine zunehmende Datenkompetenz: Data Literacy sollte so früh wie möglich vermittelt werden.

Lieber Alois, vielen Dank für das inspirierende Gespräch.

Das Interview führte Yvonne Scheller.
sb

Anwendungsfall: autonomer Bus im ARIC-Showroom

Quellen und weitere Informationen

Alois Krtil

Der Gründer und Geschäftsführer des Artificial Intelligence Centers Hamburg e. V. (ARIC) ist studierter Wirtschaftsinformatiker und Ingenieur. Nach seiner Tätigkeit als Unternehmensberater in der Automotive-Industrie leitete er von 2011 bis 2022 die Innovations Kontakt Stelle (IKS), eine gemeinsame Wissens- und Technologietransfer-Einrichtung der Stadt Hamburg sowie Handelskammer Hamburg und betreute dort über 200 Technologieprojekte. Darüber hinaus war Alois Dozent an der Universität Hamburg, FOM Hochschule und ist Mitglied in diversen Ausschüssen, Lenkungsgruppen und Beiräten, u. a. in der Deutschen Quantum Computing Initiative des DLRs. Zudem ist der 41-Jährige Mentor im CDL (Creative Destruction Lab), einem der erfolgreichsten internationalen Startup-Accelerator-Programme.

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