Künstliche Intelligenz

Natix: Mit intelligenten Kameras zur Smart City?

6. Oktober 2020
Wie das Hamburger Startup Natix Städte mit KI-Videoanalysen smart machen will, und welche Rolle das Thema Datenschutz dabei spielt

Die Zahl der Überwachungskameras im öffentlichen Raum steigt. Bis 2021 könnten es weltweit mehr als eine Milliarde Kameras sein. Allein in London gibt es aktuell mehr als 627.000 Überwachungskameras so eine Studie des Tech-Magazins Comparitech. Datenschützer stehen dem wachsenden CCTV-Netzwerk kritisch gegenüber. Doch Videoanalysen seien ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Smart City, sind Dr. Alireza Ghods und Lorenz Muck überzeugt, zum Beispiel hinsichtlich intelligenter Mobilität. Zusammen mit Omid Mogharian haben sie 2020 das Hamburger Tech-Startup Natix gegründet, und eine Künstliche Intelligenz (KI) entwickelt, die Video-Daten dezentral verarbeitet und dabei sensible Daten in Echtzeit anonymisiert. Ihr Vorhaben wird mit der Gründerförderung Exist des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, und durch das Programm InnoRampUp der IFB Innovationsstarter GmbH, einer Tochter der IFB Hamburg, unterstützt.

Im Interview mit den Hamburg News erklären die Gründer, wie sie Städte smarter machen wollen, weshalb sie auf Edge-Computing setzen und verraten, wo ihre Video-KI-Lösung bereits zum Einsatz kommt.

Hamburg News: Was ist eure Vision?

Lorenz Muck: Niemand mag es, beobachtet zu werden. Wenn wir mit dem Zug pendeln und jemand auf unser Smartphone schaut, fühlen wir uns dabei nicht unbedingt wohl. Andererseits gibt es Situationen, in denen es gut wäre, wenn jemand über uns wachen würde. Wenn Sie allein in einer dunklen Gasse sind und einen Unfall haben, möchten Sie, dass jemand da ist, Ihnen hilft oder für Sie Hilfe herbeiruft. Solange unsere Privatsphäre geschützt wird, ist es für uns oft in Ordnung, wenn Kameras zum Einsatz kommen. Genau hier setzen wir an: Wir wollen Kameras intelligent machen, ohne die Privatsphäre Einzelner zu verletzen.

Dr. Alireza Ghods: Hierfür setzen wir Software mit Dezentralisierungstechnologie in Kameranetzwerken ein, die einen Austausch von Daten, Anwendungen und Rechenleistungen zwischen den einzelnen Kameras ermöglichen – in Form eines virtuellen Schwarms. So können die Kameras eine Situation aus verschiedenen Perspektiven analysieren und identifizieren. Mithilfe der KI anonymisieren wir sensible Daten, wie Gesichter oder Nummernschilder, und können zudem das Video optimieren, damit es zur Analyse und Weiterverwendung geeignet ist.

Hamburg News: Warum setzt ihr dabei auf Edge Computing anstatt auf Cloud-Dienste?

Ghods: Eine Cloud-basierte Videoanalyse in Echtzeit stößt schnell an ihre Grenzen: Die Daten werden von den Kameras an die Cloud gesendet, damit diese dort verarbeitet werden können. Die Erkenntnisse wiederum müssen an den Ort zurückgesendet werden, an dem die Entscheidung umgesetzt werden muss. Dies ist komplex, kostspielig und führt zu Latenzzeiten. Außerdem fühlen sich viele Bürger nicht wohl dabei, wenn ihre Gesichter durch die Internet-Pipelines geschoben werden. Deshalb haben wir beschlossen, die Intelligenz aus der Cloud direkt in das Kameranetzwerk bringen. Um zusätzlich den konventionellen Datenverkehr zu entlasten, setzen wir auf Edge Computing, verlagern also die Anwendungen auf einzelne Geräte und somit an den ‚Rand‘ des Netzwerks. 

Hamburg News: Wie wollt ihr Städte ‚smart‘ machen?

Muck: Unsere Computer-Vision-Plattform eignet sich für verschiedene Anwendungsfälle, die Städte dabei helfen, intelligenter zu werden. Zum einen können wir die einzelnen Kameraperspektiven kombinieren, um eine High-Definition-Karte (HD-Karte) mit Echtzeit-Informationen (gefährliche Situationen, Verhalten von Menschenmengen etc.) zu erstellen. Aktuell verzeichnen wir ein großes Interesse an zwei Anwendungsfällen: Einerseits die verbesserte Prognose von Verspätungen sowie eine optimierte Planung von Abfahrtszeiten im ÖPNV. Hierfür können wir zum Beispiel Live-Belegungsdaten von Kameras im Bus bzw. in den Busbahnhöfen, Verkehrskameras, den Standort des Busses und die Wetterbedingungen kombinieren. Und andererseits das detaillierte, aber günstige Tracking von Parkplatzkapazitäten. Außerdem gibt es Use Cases im Industrie-Kontext, denn aufgrund ihrer Größe und Komplexität ähneln Industriegelände dem Umfeld der Stadt. Hier können wir unsere Video-KI einsetzen, um Schutzausrüstung zu erkennen, um sicherzustellen, dass keine oder die richtige Anzahl an Personen in einem bestimmten Bereich sind, oder aber um verletzte Personen zu orten.

Hamburg News: Wo kommt eure KI-Video-Lösung bereits zum Einsatz?

Ghods: Mit dem Natix Virtual Doorman haben wir ein Plug-and-Play-Produkt entwickelt, das im Zuge der Corona-Pandemie Gesichtsmasken und Auslastungsvorschriften anonymisiert überwachen kann. Unsere Software erinnert Besucher daran, Masken zu tragen und kontrolliert die maximale Auslastung (jeweils über ein LCD-Display). Dabei anonymisiert die KI-Lösung die Gesichter in Echtzeit direkt auf der Kamera. Bei einem Verstoß gegen die Corona-Regelungen, zum Beispiel, wenn ein Gast ohne Maske eintritt, wird die hinterlegte Kontaktperson per SMS benachrichtigt und kann den Gast somit direkt darauf aufmerksam machen. Der Virtual Doorman ist bereits seit Mai im Coworking Space des Technikzentrums Lübeck (TZL) im Einsatz. Darüber hinaus führen wir zurzeit erste Gespräche mit potenziellen Partnern, darunter Kamera- und Chiphersteller, um weitere Pilotprojekte umzusetzen.

Hamburg News: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Sarah Bischoff.
sb/kk

Quellen und weitere Informationen

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