SERIE: Windkraft

Segelnde Frachter – Mit Wind zu einem sauberen Schiffsverkehr?

11. November 2020
Umweltfreundliche Wind-Antriebe für Schiffe, zum Beispiel mit einem Zugdrachen aus Hamburg. Teil 2 unserer Serie

Auf allen Meeren kreuzen inzwischen Frachter auf, die zeigen, dass es auch sauber voran geht. Sie nutzen Gas, Brennstoffzellen oder Strom, der mit der Kraft der Sonne per Photovoltaik gewonnen wird. Vor allem aber der Wind birgt auf See enormes Potenzial – das erkannten die Menschen schon vor Jahrtausenden, als Motoren noch ferne Zukunft waren. Nach dem Auftaktartikel „Von der Kraft des Windes: segelnde Frachter, Windautos & Co.“, ist dies der zweite Beitrag im Rahmen der Serie: Windkraft von Daniel Hautmann, Wissenschaftsjournalist. In sechs Beiträgen zeigt der Gastautor anhand spannender Beispiele aus Hamburg und darüber hinaus, was der Wind alles antreibt.

Segelantriebe für dicke Pötte

In letzter Zeit erlebt der Schiffsantrieb per Wind eine Renaissance. Der Grund dafür sind die enormen Lasten, die die Schifffahrt hinter sich herschleppt: Umweltgefährliche Chemikalien im Schiffsanstrich, das Einschleppen von standortfremden Organismen mit dem Ballastwasser, das Einbringen von Abwasser und Abfällen ins Meer oder Ölverunreinigungen sowie Schiffslärm beeinträchtigen den Zustand der Meeresumwelt enorm. Vor allem aber machen die Abgase der gigantischen Motoren, die mit giftigem Schweröl betrieben werden, Probleme.

Der Schiffsverkehr auf den Weltmeeren ist schon heute für ca. 2,6 Prozent der klimaschädlichen globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Im Jahr 2015 betrugen diese rund 932 Millionen Tonnen – das ist mehr als Deutschland pro Jahr ausstößt. Doch das Klimaschadgas CO2 ist noch das geringste Problem: Aus den Schornsteinen der über 300 Meter langen Riesenpötte quillt Schwefeldioxid, der sauren Regen verursacht und die Schleimhäute der Menschen schädigt. Zudem werden Stickoxide ausgestoßen, die die Atemwege reizen und Smog verursachen. Auch Feinstaub gehört dazu, der in die Atemwege gelangt und gefährliche Lungenkrankheiten und Krebs auslösen kann. Katalysatoren, wie bei Autos oder Lastkraftwagen? „Gibt es auf Schiffen praktisch nicht“, sagt Daniel Rieger, Leiter Verkehrspolitik beim Naturschutzbund Deutschland (NABU).

Das Hamburger Dyna-Rigg, ein High-Tech-Segel

Der enorme Umweltschaden ist Grund genug, auf den Wind zu setzen. Eines der gewaltigsten und beeindruckendsten Segelschiffe der Welt ist die Sailing Yacht A. Die Yacht ist 143 Meter lang, fast 25 Meter breit und bietet jeden erdenklichen Luxus. Die drei bis zu 90 Meter hohen Masten tragen bis zu 3.700 Quadratmeter Segel und beschleunigen die Yacht auf eine Geschwindigkeit von 21 Knoten, was fast 40 Stundenkilometer entspricht.

Ein weiterer, vielversprechender Segelantrieb trägt den Namen Dyna-Rigg. Bei diesem modernen Rahsegel sind die Segel an drehbaren Masten befestigt und können automatisch ein- und ausgefahren werden. Beim Dreimaster Maltese Falcon bilden alle drei Segel eine große, geschlossenen Fläche. Die Idee zu diesem Segel-System hatte der Ingenieur Wilhelm Prölss in den 1960er-Jahren in Hamburg.

Zugdrachen-Antrieb für Containerschiffe

Ebenfalls in Hamburg hat das Unternehmen Skysails ein Zugdrachen-System für Schiffe entwickelt. Skysails stand eine Zeit lang im Rampenlicht, dann kam die Wirtschaftskrise und traf die Seefahrt besonders hart. Überkapazitäten, Preisverfall – schlechte Zeiten für Umweltinnovationen. Firmengründer Stephan Wrage musste etliche Mitarbeiter entlassen, jetzt setzt er große Hoffnungen auf die Einführung der strengeren Emissionsgrenzen: „Das Jahr 2020 ist der Innovationstreiber. Da die Konsumgüternachfrage steigen wird, geht es gar nicht anders, als die Schiffe immer effizienter zu machen.“

Seit 2017 wird auch der Forschungskatamaran „Race for Water“ von einem Skysails-Kite gezogen. Dieses durch Solar, Wasserstoff und dem Kite angetriebene Schiff befindet sich auf einer fünfjährigen Reise rund um die Welt und führt Programme zur Bekämpfung der Plastik-Verschmutzung der Ozeane durch. Seit Beginn der Fahrt (mehr als 26.000 Seemeilen) betrage der Anteil, der durch den Drachen erzeugten Energie etwa 25 Prozent, lässt Wrage wissen. Bei entsprechenden Wetterbedingungen ermögliche der Drachen eine Geschwindigkeit von bis zu 18 km/h.

Frachtschiff mit Zugdrache

Flettner-Rotoren: Röhren an Deck

Für einen wahren Energieschub sorgten zuletzt auch sogenannte Flettner-Rotoren. Das sind große Zylinder, die motorisch in Drehung versetzt werden. Streicht der Wind über die Zylinder, so wird er auf der einen Seite beschleunigt und auf der anderen abgebremst. Dieser sogenannte „Magnus-Effekt“ beschleunigt das Schiff wie ein Segel quer zum Wind – und unterstützt den Motor, was bis zu 20 Prozent Treibstoff einsparen kann.

Ein weiteres Schiff, dessen Hauptantrieb von solch einem Flettner-System unterstützt wird, ist die 162 Meter lange Fähre „Estraden“. Der Frachter spare dank des Rotors des finnischen Unternehmens Norsepower jährlich rund 400 Tonnen Kraftstoff und senke den CO2-Ausstoß im selben Zeitraum um 1000 Tonnen. Norsepower hat noch zwei weitere Schiffe ausgerüstet: Den Tanker „Maersk Pelican“ und die Passagierfähre „Viking Grace“. Auch die Reederei Scandlines hat gerade ein Flettner-Schiff präsentiert: Die Fähre „Copenhagen“, die zwischen Rostock und dem dänischen Gedser verkehrt.

Die Umbauten zeigen, dass das Thema Flettner-Rotor als Zusatzantrieb tatsächlich anerkannt wird. Schiffbau-Ingenieur Sven Hofmann vom Hamburger Maritim-Dienstleister Technolog kann der Technik einiges abgewinnen: „Das Flettner-System ist eine einfache Plug-and-Play-Lösung, nur die Windrichtung muss zur Reiseroute passen.“

Moderne Frachtsegler

Alt und neu will das französische Startup Neoline kombinieren. Sprich: einen modernen Frachter mit klassischen Segeln ausstatten. Wobei klassisch nicht ganz stimmt: Die Franzosen haben sich ein System aus verstrebten Masten überlegt, die eingeklappt werden können, um etwa in den Hafen unter Brücken hindurch zu kommen und besser Be- und Entladen zu können. Das Schiff kommt auf eine Segelfläche von 4.200 Quadratmetern. Die Segelfrachter sollen laut Hersteller rund 30 Prozent teurer sein, dafür auch aber bis zu 90 Prozent weniger Energie verbrauchen als konventionelle Frachter. Der erste Neoliner könnte schon Ende 2021 in See stechen, heißt es. Er soll 136 Meter lang sein und Autos über die Meere transportieren.

Ein Gastbeitrag von Daniel Hautmann, freier Wissenschaftsjournalist und Buchautor

Quellen und weitere Informationen

Das Buch

Buch-Cover

Der Mensch nutzt die Windkraft schon seit Jahrtausenden. Mit dem fortschreitenden Klimawandel und der Umstellung der Energieversorgung auf regenerative Energien wird die Nutzung des Windes wichtiger denn je. Daniel Hauptmann zeigt in diesem Buch, was mit der Kraft des Windes noch alles möglich ist, wenn man die Innovationskraft zahlreicher Erfinder und Investoren im großen Maßstab hinzuaddiert. Dabei geht er über die gewöhnliche Perspektive der Windkraftnutzung zur Erzeugung von elektrischem Strom hinaus. Er zeigt anhand faszinierender Beispiele, was Wind bewegen kann – von segelnden Frachtschiffen über windbetriebene Rennwagen bis zu schwimmenden Windturbinen. Bei jedem Beispiel geht der Autor auf technische Fakten und die Umweltwirkung ein.

Daniel Hautmann: Windkraft neu gedacht – erstaunliche Beispiele für die Nutzung einer unerschöpflichen Ressource, Hanser Verlag, München 2020, 229 Seiten, gebundene Ausgabe 39,99 Euro, als E-Book 31,99 Euro.

Über den Autor

Daniel Hautmann, Jahrgang 1975, schreibt seit rund 20 Jahren als freier Wissenschaftsjournalist über Technik, Energie und Umwelt. Er ist ausgebildeter Industriemechaniker und Fachzeitschriftenredakteur. Hautmann hat sich vor allem auf regenerative Energien spezialisiert, insbesondere auf das Thema Windkraft. Er surfte bereits mit einem Windsurfweltmeister um die Wette und flog mit der Kunstflug-Europameisterin kopfüber im Segelflugzeug. Seine Texte sind unter anderem in Brand Eins, Technology Review und der Süddeutschen Zeitung erschienen. Darüber hinaus moderiert er gelegentlich fürs Radio, produziert Podcasts und schreibt Bücher. www.danielhautmann.de

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