Forschung

Mixed Reality im OP-Einsatz

4. Februar 2019
Ein Mediziner und ein Software-Entwickler wollen Operationsmöglichkeiten revolutionieren. Digitale Modelle des Startups Apoqlar bewähren sich im Praxistest

Seit dem Pokémon-Go-Hype 2016 ist Augmented Reality vielen Menschen ein Begriff: Die Erweiterung der realen Welt um virtuelle, digitale Inhalte. Inzwischen haben auch Wirtschaft und Industrie die Möglichkeiten der innovativen Technik entdeckt: „82 Prozent der Unternehmen, die aktuell AR oder VR in ihrem Geschäftsbetrieb einführen, machen damit gute Erfahrungen. 46 Prozent bzw. 38 Prozent der Unternehmen nehmen an, dass die Technologien innerhalb von drei bzw. fünf Jahren bei ihnen zum Standard werden“, heißt es in der Studie „Augmented and Virtual Reality in Operations“ von September 2018. Die Unternehmensberatung Capgemini hatte dazu mehr als 700 in AR- und VR-Projekte eingebundene Führungskräfte der Automobil-, Fertigungs- und Versorgungsbranche in Deutschland, Frankreich, USA, China, Großbritannien und Skandinavien befragt. Zunehmend wird die Kombination von realen und virtuellen Informationen nun von immer mehr Medizinern entdeckt.

VSI wandelt CT- und MRT-Scans in dreidimensionale Modelle um

Vor allem bei schwierigen anatomischen Verhältnissen kann Dr. Hans von Lücken, Oberarzt für Kopf- und Halschirurgie/HNO am Katholischen Marienkrankenhaus, mit virtueller Unterstützung operieren: Mit dem Virtual Surgery Instructor (VSI). Das intelligente Programm wandelt CT- und MRT-Scans in ein dreidimensionales Modell um, das sich mithilfe einer Mixed-Reality-Brille direkt auf den Patienten projizieren lässt.

Sprach- oder Gestensteuerung erlaubt präzise Visualisierung nach Bedarf

„Die 3D-Bilder sind durchscheinend, sodass ich die Realität darunter noch gut sehen kann. Die Software erkennt den Patienten und das 3D-Bild passt sich exakt der Kopfform an. Ich kann die Bilder aber natürlich auch ganz einfach aus meinem Sichtbereich schieben – und das alles per Sprach- oder Gestensteuerung“, erklärt von Lücken. Die 3D-Bilder lassen sich zudem während der Operation drehen oder vergrößern und durch weitere Informationen, wie Laborwerte, Röntgen- oder Ultraschallbilder ergänzen. Auf diese Weise kann von Lücken seinem Patienten buchstäblich in den Kopf schauen und erhält eine präzise Visualisierung aller relevanten anatomischen Strukturen.

Hamburger Startup Apoqlar

Entwickelt wurde VSI gemeinsam von Dr. Hans von Lücken und Sirko Pelzl. Der Software-Entwickler gründete dazu 2017 das Hamburger Startup Apoqlar. Die MRT- und CT-Scans werden auf Microsoft Hololenses holographisch dargestellt. Im letzten Jahr ist Apoqlar Microsoft-Partner geworden und kommt so frühzeitig in den Genuss der nächsten Generation der Hololenses, die nochmals kleiner, leichter und leistungsstärker sein sollen, was wiederum eine noch bessere Qualität der 3D-Bilder ermöglichen soll.

Mehr Sicherheit dank digitaler Modelle

„Mixed Reality wird die Operationsmöglichkeiten revolutionieren”, ist Pelzl überzeugt. „Es ist nicht die Frage, ob es so kommt, sondern ob wir diese Revolution anführen werden“, so der der 41-Jährige. Mittlerweile hat sich VSI während einer einjährigen Praxiserprobung im Marienkrankenhaus bewährt. „Am 28. August fand die weltweit erste Operation mit VSI statt“, erzählt von Lücken. Inzwischen hat der 54-Jährige 12 virtuell unterstützte Operationen des Kiefernhöhlenraums durchgeführt. Zwar gäbe es in der Medizin auch andere Anwendungen zur virtuellen Navigation, „aber das VSI ist viel eleganter. Die Darstellung feinster anatomischer Strukturen gewährleistet größtmögliche Sicherheit während der Operation.“ Von Lücken ist sicher, dass sich das virtuell unterstützte Operieren durchsetzen wird. „Und nicht nur im HNO-Bereich. VSI kann auch etwa in der Neuro- oder Unfallchirurgie oder in der Orthopädie eingesetzt werden.“

VSI: Von Hamburg in Krankenhäuser in aller Welt

Tatsächlich gibt es bereits Interesse von weiteren Kliniken im In- und Ausland. „Neben dem Marienkrankenhaus haben bereits das Universitätsklinikum Essen sowie eine Klinik in Calgary, Kanada, und eine in Valencia, Spanien, das System gekauft“, sagt Pelzl. In den Asklepios Kliniken in Barmbek und Altona ist VSI gerade im Praxistest und in zehn weiteren Krankenhäusern ist die Erprobung in Planung. Im vergangenen Jahr stellte Pelzl VSI etwa in Singapur, Auckland und London vor, für 2019 sind Reisen nach Indien und Thailand geplant. Pelzl versucht also gerade den Spagat zwischen Vertrieb und der Weiterentwicklung des Systems.

Natural Rendering bringt Farbe in die 3D-Bilder

„Für den Vertrieb haben wir jetzt gerade einen neuen Mitarbeiter eingestellt, damit ich mich stärker der Weiterentwicklung widmen kann“, erklärt der Apoqlar-Gründer. Doch auch das bedeutet Reisetätigkeit, denn Pelzl erfährt vor allem im direkten Gespräch mit Medizinern, was diese brauchen und was sie sich wünschen. Von Lücken wünschte sich etwa eine farbliche Darstellung von Nerven und Gefäßstrukturen. „Das können wir jetzt ganz neu mittels Natural Rendering anbieten“, erzählt Pelzl. Natural Rendering ist eine neuartige Visualisierungsmethode, bei der die schwarz-weißen MRT- und CT-Aufnahmen farblich präsentiert werden, sodass auch feinste Gewebestrukturen besser erkennbar werden und plastischer wirken. Von der immer besseren Visualisierung profitieren nicht nur Ärzte. Im Marienkrankenhaus kam VSI während des letzten Jahres auch in der Patientenaufklärung zum Einsatz. „Mittels der 3D-Modelle können wir den Patienten ihre Erkrankung viel besser erklären und ihnen ganz genau erläutern, was bei der Operation passieren wird. Das ist ausgesprochen hilfreich“, betont von Lücken.
ys/sb

Quellen und weitere Informationen

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