Forschung

Calls for Transfer: Energiewende wissenschaftlich absichern

23. Mai 2023
Teil 3 der Serie ‚Calls for Transfer‘ – So forschen Hamburger Wissenschaftler:innen zur Transformation der Energiewirtschaft

Um die Versorgungssicherheit der deutschen Energieversorgung zu erhöhen, wird im Rahmen des LNG-Beschleunigungsgesetzes der Aufbau von Terminals zum Import von LNG (Liquid Natural Gas) massiv vorangetrieben. Eine Entwicklung, die jedoch das Ziel, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2045 auf netto Null zu senken, erschwert – Erdgas ist ein fossiler Rohstoff. „Für den Klimaschutz und eine sichere Energieversorgung muss sich Deutschland unabhängig von fossilen Brennstoffen machen“, heißt es auch vonseiten der Bundesregierung. „Wasserstoff als Ersatz für Erdgas, Öl und Kohle spielt dabei eine entscheidende Rolle. Die Bundesregierung fördert diesen zukunftsträchtigen Energieträger im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie“, heißt es dort weiter. Eine zukünftige Umnutzung der LNG-Terminals auf Flüssigwasserstoff ist auch bereits geplant – allerdings: „Flüssigwasserstoff und LNG weisen deutliche physikalische Unterschiede auf. Insbesondere die um ca. 90 °C niedrigere Speichertemperatur von Flüssigwasserstoff stellt LNG-Terminals vor Herausforderungen“, weiß Professor Sebastian Timmerberg vom Department Umwelttechnik an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg. Der Professor für Umweltverfahrenstechnik, erneuerbare Kraftstoffe und Energiewirtschaft will im Rahmen des Förderprogramms „Calls for Transfer“ (C4T) ein Konzept zur Umrüstung von LNG-Terminals auf Flüssigwasserstoff entwickeln. C4T ist ein von der Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke (BWFGB) gefördertes Programm zur Unterstützung von Innovationen aus Hamburger Hochschulen.

Flüssigwasserstoff in LNG-Terminals

Um die Umnutzung der LNG-Terminals zu ermöglichen, geht Timmerberg in seinem Projekt „Flüssigwasserstoff-Import in LNG-Terminals“ vor allem drei Fragen nach: Identifikation technischer Hürden, die Skizzierung entsprechender technischer Lösungsansätze und die Untersuchung systemischer Konsequenzen, die sich durch die Umrüstung auf flüssigen Wasserstoff ergeben. Einer der ersten Schritte ist dabei die Untersuchung der verbauten Materialien. „Die Innenwände konventioneller LNG-Tanks sind aus Nickelstahl gefertigt. Dieser Stahl ist für den Einsatz bei Temperaturen von Flüssigwasserstoff nicht geeignet“, nennt der Experte ein Beispiel. Im Zuge des Projekts wird nach Lösungsansätzen gesucht, wie etwa den Einbau eines weiteren innenliegenden Tanks oder eine Behandlung des Nickelstahls, um ihn ‚wasserstofffest‘ zu gestalten. Der dritte Fokus – die Untersuchung systemischer Konsequenzen – bezieht sich auf die Funktionen eines LNG-Terminals: Anlandung, Lagerung und Regasifizierung von LNG sind auf die Anforderungen von LNG-Anbietern, LNG-Nachfragern und dem Terminalbetreiber ausgerichtet. „Bei einer Umrüstung auf Flüssigwasserstoff ändern sich die Rahmenbedingungen“, so Timmerberg und nennt als Beispiel die Regasifizierung von LNG zu gasförmigem Erdgas. „Ein Großteil des eingespeicherten LNG wird verdampft und verdichtet, um Erdgas für das Erdgasnetz bereitzustellen. Für Flüssigwasserstoff existieren in Europa jedoch bisher nur lokale Netze, in die gasförmiger Wasserstoff eingespeichert werden könnte. Darüber hinaus bietet flüssiger Wasserstoff Verbrauchern einen Zusatznutzen. Eine sinnvolle Integration eines Flüssigwasserstoffterminals in das Energiesystem muss anders gedacht werden als bei einem LNG-Terminal.“

Prof. Sebastian Timmerberg

Von überschüssiger Energie zu grünem Wasserstoff

Wasserstoff lässt sich mithilfe von Brennstoffzellen in Strom und Wärme umwandeln. Doch zur Erzeugung von Wasserstoff ist ebenfalls Strom nötig, eine Krux. Bei grünem Wasserstoff kommen erneuerbare Energien, wie Photovoltaik oder Windkraft, zum Einsatz, die wiederum – je nach Sonnenstunden oder Windaufkommen – nicht immer im gleichen Maße zur Verfügung stehen und schwierig zu speichern sind. „Dieser Nachteil kann durch den Einsatz chemischer Energiespeicherungskonzepte ausgeglichen werden“, betont Dr. Maximilian J. Poller vom Institut für Technische und Makromolekulare Chemie der Universität Hamburg. Denn ‚überschüssige‘ Energie kann zur Wasserstofferzeugung genutzt werden. „Der so gewonnene grüne Wasserstoff kann zur Herstellung chemischer Energieträger, zum Beispiel Dimethylether (DME), eingesetzt werden.“

DME-Herstellung zur nachhaltigen und umweltfreundlichen Energiespeicherung

Nachhaltige Kraftstoffvariante DME

DME kann unter anderem als E-Fuel eingesetzt werden, was etwa den Einsatz von Verbrennungsmotoren auch in Zukunft erlauben könnte. Denn ab 2035 sollen in der EU nur noch Neuwagen mit Verbrennungsmotor zugelassen werden, die beim Fahren CO2-emissionsfrei sind, also mit klimaneutralen Kraftstoffen (E-Fuels) angetrieben werden. Bei der Verbrennung von DME werden weniger Feinstaub sowie Schwefel- und Stickoxide emittiert als bei konventionellem Dieselkraftstoff. Auf jeden Fall sei der nachhaltige Kraftstoff für Baumaschinen oder land- und forstwirtschaftliche Nutzfahrzeuge interessant, ist Poller überzeugt. „Aber auch für Fahrzeuge oder Notstromaggregate im Katastrophenschutz.“ 

Aktuell ist die konventionelle Methode, um DME herzustellen jedoch nicht mit der Anwendung von DME als Speichermolekül für grünen Wasserstoff kompatibel. Vielmehr handelt es sich um einen mehrstufigen – und energieintensiven – Prozess, bei dem DME aus fossilen Rohstoffen hergestellt wird. „Diese Probleme wollen wir durch Anwendung eines neuen Katalysatorkonzepts lösen“, erklärt der Wissenschaftler das Ziel seines Projekts ‚Entwicklung eines Konzepts für die einstufige Dimethylether-Synthese aus CO2 und grünem Wasserstoff‘. „Im Rahmen des Projekts wollen wir bekannte, für CO2 geeignete Methanol-Synthese-Katalysatoren mit – für die DME-Bildung notwendigen – Säurekatalysatoren kombinieren“, so Poller. Auf diese Weise soll ein nachhaltiger und umweltfreundlicher Prozess zur chemischen Energiespeicherung entstehen.

Katalysatoren im Fokus

Katalysatoren stehen auch beim Projekt „Entwicklung einer hochdruckdichten Bewegungseinheit für einen Profilreaktor“ im Zentrum. „In 90 Prozent aller großtechnischen Prozesse werden in der Industrie Katalysatoren eingesetzt, um chemische Reaktionen zu beschleunigen und in eine bestimmte Richtung zu lenken“, erklärt Professor Raimund Horn, der zusammen mit Dr. Oliver Korup (beide Technische Universität Hamburg) im Rahmen des C4T-Projekts an katalytischen Reaktoren forscht, in denen chemische Reaktionen im industriellen Maßstab ablaufen. „Reaktoren sind in der Regel aus Stahl gebaut, um hohen Temperaturen und Drücken standzuhalten – Dies bedeutet aber auch, dass wir nicht hineinsehen können“, so Horn. Genau das wäre jedoch wünschenswert, denn bei der Entwicklung neuer Katalyseprozesse treten immer wieder Probleme auf.

Profilreaktor

Welche Moleküle sind wo im Reaktor?

Die Wissenschaftler wollen mittels einer Kapillartechnik katalytische Prozesse untersuchen und optimieren. „Unsere Kapillare ist ein dünnes Röhrchen aus Stahl oder Glas mit einem winzigen Loch in der Wand, durch das wir eine Probe aus dem Reaktor entnehmen können. In einem Analysegerät erfahren wir dann mehr über die Zusammensetzung der Reaktionsmischung: Welche Moleküle sind wo im Reaktor in welcher Konzentration enthalten?“, erläutert Horn. Die Kapillare wird durch den Reaktor bewegt, um Ergebnisse vom Eingang bis zum Ausgang des Reaktors zu erhalten und ist dabei dem im Innern des Reaktors herrschenden Druck ausgesetzt. „Viele der für die Energiewende relevanten Prozesse geschehen unter großem Druck. Für Methanolsynthese sind 70 bar erforderlich, für Ammoniaksynthese sogar 350 bar.“ Sichere Messungen sind bislang jedoch nur bis zu einem Druck von 50 bar möglich. Das wollen Horn und Korup mit einem neuentwickelten Dichtungssystem ändern. Ihr (Etappen-)Ziel: 100 bar. Die Forschung der beiden Wissenschaftler hat bereits den Praxistest bestanden, sie sind Co-Founder des Unternehmens Reacnostics GmbH, das unter anderem Profilreaktoren entwickelt, baut und vertreibt.

Elektrolysesysteme für Flusswasserkraftwerke

Wasserkraft wird schon seit dem 19. Jahrhundert zur Erzeugung von Strom genutzt. „Allerdings wird das Potenzial von Fließgewässern bisher wenig genutzt, da geeignete Standorte oft weit entfernt von Versorgungsinfrastrukturen liegen und die Anlagen auf schwankende Pegelstände reagieren müssen“, weiß Torsten Birth, Professor für Anlagenbau und Prozesssimulation in der Energietechnik an der HAW Hamburg. Mit dem Projekt River Flow Electrolysis System Platforms (RFESP) könnte sich das ändern. „Im Projekt RFESP soll eine fließgewässerbasierte Testträgerplattform für Elektrolysesysteme als Beispiel für Energiesysteme entwickelt und umgesetzt werden.“ Das Projekt ist in fünf Arbeitspakete unterteilt, darunter die Analyse der technischen Anforderungen, die Entwicklung eines Konzepts, die Validierung durch eine Simulationsumgebung und die Umsetzung der Testplattform.

Professor Torsten Birth

Dezentrale Versorgungslösungen mittels Power-to-Gas erforschen

„Ziel ist es, realitätsnahe Untersuchungsergebnisse auf Basis von Energiesystemmodellen zu erlangen, um dezentrale Versorgungslösungen mittels Power-to-Gas zu erforschen“, erläutert Birth, zu dessen Forschungsschwerpunkten Planung und Betrieb bedarfsgerechter Power-to-X- und Energiesysteme gehören. „Der Mehrwert des Projekts liegt in der Stärkung der Forschung, der Aus- und Weiterbildung von Fachkräften sowie der Unterstützung der hiesigen Industrie bei der Einführung neuer Technologien und der daraus resultierenden Schaffung von Arbeitsplätzen.“
ys/sb

Lesen Sie auch unsere bisherigen Serienteile:

1. Calls for Transfer: Mini-Implantate für die Krebsdiagnostik

2. Calls for Transfer: Chemisches Recycling für die Kreislaufwirtschaft

Quellen und weitere Informationen

Calls for Transfer

Das von der Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke (BWFGB) der Freien und Hansestadt Hamburg finanzierte Förderprogramm ‚Calls for Transfer‘ befindet sich in Trägerschaft der Technischen Universität Hamburg (TUHH). Das Projekt wird von Hamburg Innovation aktiv umgesetzt und koordiniert, wobei das Gremium unabhängig entscheidet.

Die Hamburg Innovation GmbH ist eine privatwirtschaftlich organisierte Wissens- und Technologie-Transfereinrichtung der staatlichen Hamburger Hochschulen. An der Schnittstelle zwischen Hochschulen, Unternehmen und öffentlicher Hand ist das Team mit dem Ziel aktiv, unternehmerisches und wissenschaftliches Potenzial gewinnbringend zu vernetzen und nachhaltig Werte für Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu schaffen.

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